6. Dezember 2022
«Higher for Longer»
Was die Märkte bewegt
Die letzten Wochen standen ganz im Zeichen einer erwarteten Lockerung der Politik der Notenbanken. Dies vor dem Hintergrund einer Abnahme der Dynamik an der Teuerungsfront. Entsprechend positiv waren die Märkte gestimmt.
Mehrere Wirtschaftsdaten deuten zudem auf eine Abkühlung der US-Wirtschaft hin. Der vielbeachtete ISM Einkaufsmanagerindex für das produzierende Gewerbe in den USA fiel mit einem Wert von 49 gar unter die Marke von 50, erstmals seit Mai 2020. Ein Wert unter 50 deutet auf eine rückläufige Wirtschaftsaktivität hin. Im aktuellen Umfeld werden an der Börse schwache Konjunkturdaten positiv gehandelt, weil man auf einen abnehmenden Inflationsdruck setzt, was wiederum für tiefere Zinsen spricht. Auch in Europa gibt es Anzeichen nachlassender Teuerung und dies trotz der Energiekrise, die auf Europa lastet.
Bemerkenswertes hört man derweil aus China. Die weltweit zweitgrösste Volkswirtschaft und das bevölkerungsreichste Land der Welt scheint von der Zero-Covid Politik abzukommen.
Alle Augen sind in diesen Tagen auf die Notenbanken gerichtet. Wie interpretieren sie diese Datenlage und wie lange halten sie an einer restriktiven Politik mit Zinserhöhungen fest? Es ist eine schmale Gratwanderung und ein grosser Balanceakt für die Notenbanker: Die Inflation in den Griff zu bekommen ohne gleichzeitig die Wirtschaft abzuwürgen. Kommt hinzu, dass wir einerseits einen in vielerlei Hinsicht einzigartigen Zyklus erleben, geprägt von den Effekten einer Pandemie und präzedenzlosen geld- und fiskalpolitischen Massnahmen und andererseits sich die Auswirkungen der Massnahmen der Notenbanken immer erst viel später zeigen. Die Massnahmen sind aber nur das eine. Die Kommunikation und Rhetorik der Notenbanker das andere. Die Märkte hängen förmlich an deren Lippen und reagieren sofort.
Wie haben die Märkte reagiert?
Die leichte Entspannung bei der Teuerung löste Kursavancen über die letzten Wochen an den Börsen aus. Die meisten Anlageklassen haben sich positiv entwickelt. Ein regelrechtes Kursfeuerwerk folgte Ende November an den Aktienmärkten, als der Vorsitzende der US-Notenbank FED erstmals von der Möglichkeit weniger starker Zinserhöhungen sprach. Entsprechend gab der US-Dollar gegenüber den meisten Währungen nach. Aktienseitig haben sich Titel in den Bereichen Rohstoffe, IT und Versorger sehr gut entwickelt. Auch Qualitätsaktien – Titel von Unternehmen mit sehr solider Bilanz und Ertragslage – haben überdurchschnittlich stark zugelegt.
Wie weiter?
Vieles deutet darauf hin, dass uns das Thema Teuerung noch länger beschäftigen dürfte und damit zinsseitig ein Szenario von «Higher for Longer» anstehen könnte. Es ist eine «klebrige» Angelegenheit… Insbesondere im Bereich von Dienstleistungen, die stark von der Lohnentwicklung abhängig sind, sind wenig Anzeigen nachlassender Inflationsdynamik auszumachen. Ein Blick auf den US-Arbeitsmarkt beispielsweise zeigt, dass dieser immer noch heiss läuft: Die Arbeitslosenquote bleibt trotz nachlassender Wirtschaftsdynamik sehr tief und gleichzeitig werden immer noch viele neue Stellen geschaffen. Entsprechend steigen die Löhne weiterhin. Auch strukturelle Veränderungen im Zuge der Erfahrungen mit den vielerorts gestörten Lieferketten wirken tendenziell inflationär.
Die Energiekrise in Europa bleibt bestehen und der Winter hat noch gar nicht richtig begonnen. Auch das wirkt sich nicht unterstützend auf eine geringere Teuerung aus. Wir erwarten aber, dass die Inflation grundsätzlich weiter an Dynamik verliert und die Notenbanken vorsichtiger werden mit weiteren Erhöhungen der Leitzinsen. Mitte Dezember wird das Fed die nächste Zinsanpassung bekanntgeben. Nach bereits vier Zinserhöhungen in diesem Jahr von je 0.75 % erwarten wir eine weitere Erhöhung der US-Leitzinsen um nur 0.5 %, was allgemeiner Konsens ist und in den Kursen eingepreist sein dürfte. Nebst der Zinserhöhung wird die Kommunikation dazu im Fokus stehen: Wie stellt sich das Fed den weiteren Zinsverlauf vor, wie werden die verschiedenen Indikatoren interpretiert? Zudem werden auch die Europäische Zentralbank EZB und die Schweizerische Nationalbank SNB ihre Zinsanpassungen ebenfalls Mitte Dezember verkünden. Interessant und für den weiteren Verlauf an den Aktienmärkten bestimmend wird die Gewinnentwicklung der Unternehmen sein. Müssen die Analysten ihre Gewinnschätzungen nach unten revidieren? Bisher konnten viele Unternehmen die gestiegenen Kosten durch entsprechende Preiserhöhungen weitergeben und damit kompensieren. Im Zuge der höheren Finanzierungskosten könnten vor allem Unternehmen mit einer hohen Verschuldung zusätzlich unter Druck kommen.
Wie wir uns positionieren
Im aktuellen Umfeld bleibt eine vorsichtige Anlagepolitik weiterhin angebracht. Wir halten daher an unserer grundsätzlichen Ausrichtung fest und bevorzugen defensive Bereiche. Im taktischen Teil unserer Aktienanlagen sind wir unter anderem in den Sektoren Gesundheitswesen, Konsumgüter und allgemein in Substanzwerten engagiert. Gold als Realwert bildet einen Eckpfeiler in unseren Multi Asset Strategien, mit einem gewissen Mass an Inflationsschutz und Schutz vor einer weiteren Eskalation im Ukraine-Konflikt. Was die Währungen betrifft, so setzen wir auf den Schweizerfranken und den US-Dollar. Der sogenannte «Greenback» dient dabei auch zu einem gewissen Grad als Hedge im Falle einer negativen Marktentwicklung.
Point Capital Group
6. Dezember 2022