Liebe Leserin, lieber Leser
Zinserhöhungen, Liquiditätsabnahme, Bilanzverkürzung – das sind alles ganz furchtbare Wörter. So furchtbar, dass sie die Aktienkurse in den Keller und den Puls vieler Anleger in die Höhe schiessen lassen. Das ist nicht nur im medizinischen Sinne ungesund, sondern womöglich auch Ihrer finanziellen Gesundheit abträglich.
Sie haben es wohl selber gemerkt, an den Börsen geht es wieder etwas holpriger zu und her. Der Auslöser sitzt in den USA, genauer gesagt in Washington: Jerome Powell, Chef der US-Notenbank und der wahrscheinlich mächtigste Mann der Welt. Nicht einmal Wladimir Putin vermag den Märkten einen solchen Schrecken einzujagen wie Powell. Worum geht es?
Nach Jahren der grosszügigen (manche würden behaupten: exzessiven) Liquiditätsversorgung der Finanzmärkte steht Powell nun unter Druck, die Geldflut einzudämmen. Denn die Nebenwirkungen werden immer offensichtlicher: Mittlerweile meldet sich die Inflation mit ungemütlicher Hartnäckigkeit zurück, was vor allem den ärmeren Amerikanern zunehmend zu schaffen macht. Da im Herbst auch noch Zwischenwahlen stattfinden, dürfte auch Joe Biden dem US-Notenbankchef mehr oder weniger subtil zu verstehen geben, er soll endlich etwas gegen die Teuerung unternehmen.
Und genau das hat er den Märkten versprochen (oder gedroht, je nach Perspektive): die Leitzinsen werden steigen und das Fed wird keine Anleihen mehr kaufen. Alte Bonds werden auslaufen, was die Notenbankbilanz verkleinert. Diese Nachricht reichte bereits aus, um an den US-Börsen eine Korrektur auszulösen. Besonders hart getroffen hat es Technologie- und andere Wachstumsaktien. Der Grund dafür? Da ein Grossteil der Gewinne dieser Unternehmen in der Zukunft anfällt, würden diese bei steigenden Zinsen stärker leiden. Denn je höher der Zins, mit dem die Gewinne abdiskontiert werden, desto geringer fallen diese aus – so lautet die oft gehörte Geschichte. Sie ist nicht falsch, unterschlägt jedoch Wichtiges.
Denn wer weiss wirklich, wie stark die Gewinne dieser Technologiekonzerne zulegen werden? Was, wenn das Wachstum vom Markt unterschätzt wird? Der Trend zur Digitalisierung ist nicht aufzuhalten und Firmen wie Apple, Microsoft und Logitech haben regelmässig bewiesen, dass sie sich immer wieder neu erfinden können. Wen kümmern da etwas höhere Zinsen?
Und was spricht eigentlich dagegen, dass die Unternehmen ihre Preise an die Teuerung anpassen – oder nicht sogar noch stärker anheben und ihre Margen ausweiten? Zudem ist keineswegs sicher, dass die Zinsen so stark steigen werden, wie mittlerweile erwartet wird. Sie und ich wissen, dass Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Und wer weiss, ob der Fed-Chef nicht einen Rückzieher macht, wenn die Märkte rebellieren?
Wie Sie sehen, zweifle ich etwas an dieser schönen, aber etwas gar einfachen Geschichte, dass höhere Zinsen so negativ sein sollen. Zumal die Börsen in der Vergangenheit nach einer kurzen, ruppigen Phase die Zinserhöhungen jeweils gut weggesteckt haben. Solange sie auf solide und nicht allzu teure Unternehmen setzen, fahren Sie langfristig gut.
In diesem Sinne: Lassen Sie sich von der Zinswende nicht aus der Ruhe bringen!
Ihr Mark Stock©
Mark Stock ist ein Mitglied der Point Capital-Redaktion. «Ich bin begeisterter Börsianer und befasse mich leidenschaftlich gerne mit Wirtschaftsgeschichte. Seit Jahren verfolge ich das Auf und Ab an den Märkten und investiere natürlich auch selber – bevorzugt in Aktien. Mein Name ist also Programm. Jeden Monat greife ich an dieser Stelle ein aus meiner Sicht spannendes Thema auf. Und da der Inhalt und nicht meine Person im Zentrum stehen soll, schreibe ich unter einem Pseudonym.»