Liebe Leserin, lieber Leser
Wahrscheinlich kennen Sie den Ausdruck: What goes up, must come down. Und vieles von dem, was dank der wahnwitzigen Null- und Negativzinspolitik der Notenbanken bis Ende 2021 nach oben gespült wurde, ist im vergangenen Jahr tatsächlich wieder krachend «runtergekommen».
Die Aktien von «disruptiven» Unternehmen wie Peloton (ein disruptiver Hersteller von…Hometrainern), Carvana (ein disruptiver Vermittler von Gebrauchtwagen), Beyond Meat (ein disruptiver Wurstkonzern), Tesla und vielen weiteren haben zum Teil mehr als 90% von ihrem Höchststand korrigiert. Ebenfalls nicht zu vergessen ist der epische Zusammenbruch von diversen Kryptowährungen und Kryptobörsen. Sogar die Leitwährung Bitcoin ist um 75% abgesackt und dümpelt seit Wochen nur noch vor sich hin. Tja, «have fun staying poor!», kann ich da bloss sagen (das war die typische Antwort von Kryptojüngern in den Sozialen Medien, wenn man ihre Euphorie nicht teilte). Man sollte eben eine Spekulationsblase nicht mit Intelligenz verwechseln. Da fällt mir ein: Mein Schwager hat schon lange nichts mehr von seinen fantastischen Investments erzählt…Weshalb nur?
Einmal mehr hat sich gezeigt, dass erst bei Ebbe offensichtlich wird, wer ohne Badehose schwimmt. Und nicht wenige Marktakteure waren offensichtlich unbekleidet im Wasser – und nun offenbart sich der unschöne Anblick. Renditen, die sich bloss dank Leverage, sprich durch den grosszügigen Einsatz von ultragünstigen Krediten, erzielen liessen, schmolzen mit den Zinserhöhungen der Notenbanken so schnell dahin wie Schnee im Hitzewinter 2022/23. Und gewisse Unternehmen schafften es nicht einmal, vor dem Zinsanstieg profitabel zu arbeiten. Das ist wahrlich eine Leistung.
Nun aber pochen die Anleger plötzlich wieder auf harte Gewinne und Dividenden. Mit vollmundigen Versprechen einer dereinst gloriosen Zukunft wollen sie nicht mehr abgespeist werden. Gut so! Mit dem Versiegen von Liquidität dürften vermehrt Unternehmen ohne vernünftiges Geschäftsmodell unter Druck geraten und viele dieser während langer Zeit bejubelten Firmen werden schon bald über den Jordan gehen. Noch besser!
Doch nicht bloss Hasardeure und Glücksritter mussten unten durch: Auch Aktien von grundsoliden Unternehmen wie Roche oder Amazon kamen unter die Räder. Und sogar langweilige Staatsanleihen haben den Börsianern schmerzhafte Verluste bereitet. Abzüglich der Inflation hat kaum ein Anleger an der Börse Gewinne erzielt. 2022 war ein Jahr, das die Vermögen rund um den Globus mächtig schrumpfen liess.
Wird das neue Jahr besser für Aktienanleger? Was macht die Börse 2023?
Wenn Sie von mir nun eine präzise Aktienmarkt-Prognose und am besten noch eine punktgenaue Vorhersage für den Swiss Market Index (SMI), den DAX oder den S&P500 erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Denn es gibt ja bekanntlich zwei Arten von Prognostikern: Die, die nichts wissen, und die, die nicht wissen, dass sie nichts wissen. Immerhin bin ich mir meiner Unzulänglichkeit bewusst und gaukle Ihnen nichts vor. Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen. Aber das kann der adrett gekleidete Bankanalyst mit Mittelscheitel und modischer Hornbrille auch nicht – er kann es einfach auf höherem Niveau nicht.
Dennoch: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass der Ausblick für die Aktienmärkte gar nicht so schlecht ist. Klar, der brutale Krieg in der Ukraine kann durchaus noch einmal schlimmer werden und wer weiss, was zwischen China, Taiwan und den USA alles schief gehen kann. Doch diese Konflikte sind nun wahrlich kein Geheimnis mehr. Was aber, wenn der Krieg beendet werden kann? Was, wenn China zur Vernunft kommt? Mit der Abkehr von der unsäglichen Zero-Covid-Politik hat das Land schon einmal einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Da die Konjunktur in den USA und in Europa momentan stottert, kommt so ein unverhoffter Wachstumsimpuls aus Asien gerade recht.
Auch die Inflation zeigt endlich wieder in die richtige Richtung. Wetten wir, dass bald auch die Notenbanker von ihrer harten Straffungspolitik absehen werden? Zudem haben sich die Bewertungen von Aktien nach der Korrektur spürbar entspannt. Klar, so richtig billig sind längst nicht alle Aktienmärkte. Dennoch freue ich mich über die günstigeren Einstandskurse und schlage bei einigen soliden Qualitätsunternehmen mit Preissetzungsmacht zu. Wenn ich mich so herumhöre am Markt, erwarten alle eine Rezession in diesem Jahr und alle Welt ist pessimistisch – lustigerweise genau diejenigen, die im Höhepunkt vor einem Jahr Aktien noch als alternativlos bezeichnet haben.
Aber Achtung: Trotz meiner leicht positiven Prognose masse ich mir nicht an, den künftigen Verlauf der Aktienmärkte zu kennen. Spätestens das an negativen Überraschungen reiche Jahr 2022 hat uns gelehrt, dass beim Anlegen ein gesundes Mass an Demut nicht schaden kann. Dazu zähle ich auch eine passende Diversifikation, um den langfristigen Vermögensaufbau nicht durch waghalsige Wetten zu gefährden.
In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch im Börsenjahr 2023!
Ihr Mark Stock©
Mark Stock ist ein Mitglied der Point Capital-Redaktion. «Ich bin begeisterter Börsianer und befasse mich leidenschaftlich gerne mit Wirtschaftsgeschichte. Seit Jahren verfolge ich das Auf und Ab an den Märkten und investiere natürlich auch selber – bevorzugt in Aktien. Mein Name ist also Programm. Jeden Monat greife ich an dieser Stelle ein aus meiner Sicht spannendes Thema auf. Und da der Inhalt und nicht meine Person im Zentrum stehen soll, schreibe ich unter einem Pseudonym.»