Kommt sie, kommt sie nicht – oder ist die Inflation etwa schon längst zurück? Für die Notenbanken in den Industrieländern ist der Teuerungsanstieg bloss ein vorübergehendes Phänomen. Was aber, wenn sie sich irren?
Es ist das dominierende Thema an den Finanzmärkten: wie geht es mit der Inflation weiter? Denn nach Jahren niedriger Teuerungsraten zeigen die Konsumentenpreise seit einigen Monaten steil nach oben. In den USA notiert der Konsumentenpreiseindex seit Juni konstant über 5% und in Deutschland kletterte er zuletzt um 4,1% in die Höhe, was dem kräftigsten Anstieg seit fast dreissig Jahren entspricht. Die Schweiz steht mit einer jährlichen Inflation von 0,9% (noch?) vergleichsweise gut da.
Wirklich nur temporär?
Solch hohe Teuerungsraten hat man in Europa und in den USA schon lange nicht mehr erlebt. Und geht es nach den Notenbanken, wird die Inflation auch bald wieder abklingen. Der Preisschub sei nur vorübergehend, verursacht durch sogenannte Basiseffekte bei den Energie- und Rohstoffpreisen, Lieferengpässe und durch Nachholeffekte bei Konsum und Investitionen, die wegen der Pandemie aufgeschoben wurden. Demnächst sollte der Spuk vorüber sein.
Doch was, wenn sich die Währungshüter irren? Einiges deutet darauf hin, dass die Inflation hartnäckiger sein könnte, als erhofft. So haben sich Öl, Erdgas und Kohle in den vergangenen Wochen rasant verteuert. Das wird sich – über steigende Produktionskosten bei den Unternehmen – zwangsläufig in den Konsumentenpreisen niederschlagen. Zudem stockt der Trend der Globalisierung. Die Rückkehr des Protektionismus, zunehmende Handelskonflikte und Lieferengpässe bei wichtigen Komponenten lassen viele Unternehmen ihre Lieferketten neu auszurichten. Anstatt eine möglichst günstige Produktion steht die Versorgungssicherheit im Vordergrund. Das erhöht die Kosten. Die gewaltigen Stimulusmassnahmen vieler Regierungen und die Alterung der Bevölkerung sorgen ebenfalls für Teuerungsdruck. Eine Beruhigung der Inflation ist demnach alles andere als sicher.
Was sollen Anleger tun?
Wie können sich Anleger wappnen? Grundsätzlich gilt: Sachwerte wie Immobilien, Rohstoffe und Aktien sind in einem inflationären Umfeld festverzinslichen Anleihen vorzuziehen. Angesichts der aktuell extrem niedrigen Zinsen würde ein nachhaltiger Inflationsschub zu schmerzhaften Kursverlusten bei Anleihen führen.
Wer auf Bonds setzen möchte, sollte inflationsgeschützte Anleihen in Erwägung ziehen. Anders als etwa die USA oder Deutschland gibt die Schweiz jedoch keine inflationsgeschützten Bonds heraus. Und in beiden Ländern rentieren diese Anleihen negativ und bieten daher nur gegen einen ausgeprägten Inflationsschub Schutz.
Aktien im Vorteil
Mit Aktien sind Anleger langfristig besser bedient, weil die Unternehmen den Preisdruck oft an ihre Kunden weitergeben können. Allerdings gibt es in einem inflationären Umfeld auch dort Gewinner und Verlierer. Historisch gesehen hatten Branchen wie Bauwirtschaft, Bergbau, Chemie und Energie, die besonders sensibel auf die Konjunktur reagieren, typischerweise die besseren Karten in der Hand, wenn sich zunehmender Inflationsdruck bemerkbar machte. Banken und andere Finanzunternehmen gehörten dank der steileren Zinskurve ebenfalls zu den Profiteuren.
Generell hatten in der Vergangenheit Substanzwert- gegenüber reinen Wachstumsaktien die Nase vorn, da teure Wachstumstitel oftmals unter den steigenden Zinsen litten. Gefährdet sind deshalb insbesondere Technologiewerte. Daher gilt es, bei den Wachstumstiteln konsequent auf Qualität zu setzen. Edelmetalle wie Gold und Silber können ein Portfolio in Inflationsphasen abrunden.
Natürlich ist die Rückkehr der Inflation alles andere als sicher, doch das Risiko hat spürbar zugenommen. Etwas mehr Inflationsschutz im Portfolio kann deshalb nicht schaden.
Von Jules Kappeler
CEO der Point Capital Group
5. Oktober 2021