Liebe Leserin, lieber Leser
Haben Sie sie mitbekommen, die globale Rezession? Zumindest wenn man den Wahrsagern, äh, den professionellen Konjunkturprognostikern Gehör schenkte, dann hätte man zuhause wohl schon vor Monaten WC-Papier, Munition und Dosenravioli gehortet. Wobei man meiner Meinung nach immer ausreichend Dosenravioli im Notvorrat haben sollte… aber ich schweife ab.
Weltkrieg, Energiekrise, die De-Industrialisierung Deutschlands, eine Hyperinflation wie in der Weimarer Republik und ein von den Notenbanken ausgelöster Liquiditätscrash – gewisse Marktbeobachter zogen alle Register, um auf das nahende Unheil aufmerksam zu machen. Vom Platzen einer gewaltigen Blase, von einem brutalen Wirtschaftsabschwung, ja von einer globalen Rezession wurde man gewarnt. Tja, wir warten immer noch darauf.
Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich möchte die globalen Herausforderungen keineswegs verharmlosen, das Risiko eines «Unfalls» besteht jederzeit. Kriege sind immer unberechenbar, Rivalitäten zwischen Grossmächten wie den USA und China ebenso.
Aber die Finanzpornographie des ewigen Untergangs ist doch einfach ungesund. Erst recht, wenn man seine Anlagestrategie danach ausrichtet. Anstatt Aktien zu kaufen, hätte man sich in Cash geflüchtet – und viel Rendite verpasst. Im Wettlauf um Aufmerksamkeit muss man offenbar immer lauter schreien, um zu seinen fünfzehn Minuten Ruhm zu kommen. Zum Glück ist die Geräuschunterdrückung moderner Kopfhörer mittlerweile richtig gut.
Denn anders als gewisse Marktkommentatoren wahrhaben wollen, pendelt das Börsenumfeld meist zwischen «nicht wahnsinnig prickelnd» und «einigermassen gut», und ist nicht entweder «hoffnungslos» oder «fantastisch». Entsprechend sollte man auch beim Geldanlegen eine vernünftige Balance finden und in seiner Anlagestrategie Extrempositionen meiden.
Was muss man bei der Anlagestrategie an der Börse beachten?
Wissen Sie, worauf ich achte? Auf die Preisbewegungen an den Finanzmärkten. Und dort erkenne ich durchaus ermutigende Signale. Während nämlich mit allen Wassern gewaschene Ökonomen mit ihren sophistizierten Konjunkturmodellen noch immer mit der Frage ringen, ob nun eine Rezession droht oder nicht, klettern die Börsen völlig unbeeindruckt in die Höhe. In Hongkong und New York, in London und in Zürich zeigen die Aktienkurse seit Wochen mehr oder weniger kontinuierlich nach oben – angeführt von den Branchen, die im letzten Jahr am stärksten unter die Räder kamen. Plötzlich sind die Aktien von konjunktursensitiven Unternehmen wieder gefragt, defensive Werte sind out. So schnell kann es gehen. Der Weltuntergang wurde einmal mehr verschoben.
Sie und ich wissen: «Mr. Market» hat die lästige Angewohnheit, allzu oft das zu machen, was die wenigsten Marktteilnehmer erwarten. «Der Hauptzweck der Börse besteht darin, so viele Menschen wie möglich zum Narren zu halten», besagt eine schöne Börsenweisheit. Dem kann ich nur beipflichten. Niemand ist davor gefeit, wie ein Narr dazustehen – aber allzu leicht sollte man es Mr. Market auch nicht machen.
Trotz düsteren Prognosen (oder gerade deshalb?) haben die meisten Aktienmärkte den besten Start seit Jahren hingelegt. Das Gros der Börsen ist im noch jungen Jahr um mehr als 5 % vorgeprescht. Wie passt das zu den Rezessionsprognosen? Es passt eben nicht. Zumal auch der Kupferpreis seit dem Sommer rund 25 % zugelegt hat, und der Ölpreis sich ebenfalls stabilisiert hat. Warum ich Kupfer extra erwähne? Kupfer braucht es allenthalben: für Dachrinnen, Solarfarmen, Offshore-Windparks, Wasserleitungen, Übertragungsleitungen und überall, wo Elektronik drinsteckt. Ohne Kupfer läuft nichts. Nicht umsonst wird das Industriemetall an den Finanzmärkten wegen seiner Prognose-Eigenschaften für das Wirtschaftswachstum als «Metall mit Doktortitel» bezeichnet. Und eben: Der Kupferpreis zeigt nach oben. Wenn ich mich für einen Ratschlag von Dr. Kupfer oder von einem Konjunktur-Propheten mit Doktortitel entscheiden müsste, würde ich ohne zu zögern dem Metall den Vorzug geben.
Wie geht es weiter an der Börse?
Robuste Rohstoffe und steigende Börsen sagen mir: Die Rezession ist abgesagt oder zumindest abgehakt. Noch besser: Der harte Dollar, der den Schwellenländern im vergangenen Jahr arg zugesetzt hatte, fällt. Das ist ein gewaltiger Liquiditätsbooster für die Märkte. Kurzum: Die Rezession ist das Thema von 2022, beim Geldanlegen gilt es allerdings, nach vorne zu schauen.
Für mich wird immer deutlicher: Die Öffnung in China kam zum perfekten Zeitpunkt und sorgt nun für einen globalen Wachstumsschub. Doch nicht nur das: Die Inflation schwächt sich ab, die US-Notenbank hat endlich eine Ausrede, ihren Straffungszyklus bald zu beenden, und die chinesische Zentralbank versorgt die Märkte wieder mit reichlich Liquidität. Bye, bye Rezession!
Es macht tatsächlich den Anschein, als ob mein vorsichtig-optimistischer Ausblick, den ich vor einem Monat präsentiert hatte, nicht allzu falsch war. Aber auf die Gefahr hin, Sie zu langweilen: Übermütig werden sollte man deswegen nicht. Wenn man sich beim Geldanlegen wohl fühlt, wenn man den Drang verspürt, die Risiken in der Anlagestrategie zu erhöhen oder mit seinen Gewinnen zu prahlen, sollte man kurz innehalten. Denn wie gesagt, Mr. Market wartet nur darauf, Sie töricht aussehen zu lassen.
In diesem Sinne: Halten Sie an Ihrer Anlagestrategie fest und lassen Sie sich beim Geldanlegen nicht zum Narren halten!
Ihr Mark Stock©
Mark Stock ist ein Mitglied der Point Capital-Redaktion. «Ich bin begeisterter Börsianer und befasse mich leidenschaftlich gerne mit Wirtschaftsgeschichte. Seit Jahren verfolge ich das Auf und Ab an den Märkten und investiere natürlich auch selber – bevorzugt in Aktien. Mein Name ist also Programm. Jeden Monat greife ich an dieser Stelle ein aus meiner Sicht spannendes Thema auf. Und da der Inhalt und nicht meine Person im Zentrum stehen soll, schreibe ich unter einem Pseudonym.»