Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
«Die Berichte über meinen Tod sind stark übertrieben», soll der amerikanische Autor Mark Twain einst gesagt haben. Auch über den Dollar hört und liest man in der letzten Zeit wieder vermehrt Meldungen, die ein baldiges Ableben der globalen Leitwährung erwarten lassen. Müssen Sie als Anleger nun handeln und Ihre Anlagestrategie ändern?
Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendwo auf der Welt der Abschluss eines Handelsabkommens verkündet wird, bei dem Waren neuerdings in Renminbi, Rubel oder Reais abgewickelt werden sollen. So arbeiten beispielsweise China und Brasilien an einer Vereinbarung, den Handel in ihren eigenen Währungen statt in Dollar durchzuführen. Vor wenigen Wochen wickelte Total, der französische Energiekoloss, eine Lieferung von Flüssiggas von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach China in Renminbi ab. Russland ist sowieso vom Dollar-Markt abgeschnitten. «Harte Greenbacks? Nein, Danke!», hört man immer häufiger.
Zuletzt meinte sogar meine Schwiegermutter (man muss sie einfach gernhaben), der chinesische Yen (!) werde ja schon bald die neue globale Leitwährung sein, weil «China rasant wächst und ja überall alles aufkauft». Sie wollte natürlich umgehend ihre Anlagestrategie anpassen.
Ungebrochene Bedeutung des Dollars
So sehr ich verstehe, dass viele Länder ihre Abhängigkeit vom Dollar reduzieren möchten – so einfach ist es nicht. Lassen Sie mich Ihnen ein paar Zahlen präsentieren, welche die Dominanz des Dollars verdeutlichen: Mehr als 80% der weltweiten Devisentransaktionen und mehr als 50% des weltweiten Handels und des Zahlungsverkehrs finden in Dollar statt. Bei den globalen Devisenreserven kommt der Greenback auf einen Anteil von rund 60%. Die Konkurrenz ist weit abgeschlagen.
Betrachten wir die Grösse der wichtigsten Währungsräume. Nur der Yuan und der Euro können wirtschaftlich – gemessen am BIP – mit den USA mithalten und kommen als Alternativen in Frage. Wenn es um die freie Konvertierbarkeit geht, können Sie den Yuan aber sogleich wieder vergessen. Die Kapitalverkehrskontrollen wird China nicht so schnell abbauen. Auch das politische Risiko ist in China deutlich grösser als in den USA, egal, was Ihr Nachbar mit dem feschen Aluhut behauptet. Auch wenn es schmerzt, aber punkto wirtschaftlicher Stabilität schneiden die USA im Vergleich zu Europa und China nach wie vor besser ab.
Ohne Leistungsbilanzdefizit geht es nicht
Kein anderes Land kann mit einem ähnlich tiefen und sophistizierten Kapitalmarkt aufwarten – das spiegelt sich in jeder seriösen Anlagestrategie. Und noch wichtiger: Wer die Leitwährung der Welt stellen möchte, muss Kapital exportieren. Und zwar in grossem Stil. Das wiederum bedingt riesige Leistungsbilanzdefizite. Aber China und die Eurozone erwirtschaften fette Überschüsse und wollen nichts von Defiziten wissen. Die USA mögen viele Schwächen aufweisen, aber momentan gibt es kein Land, das ihre Vormachtstellung bald gefährden wird. Klar, der chinesische Yuan wird immer wichtiger. Nur ist das britische Pfund als Handelswährung immer noch bedeutender als der Yuan. Wenn Sie heute die Wahl hätten, würden Sie Ihre Devisen eher in Russland, Südafrika oder in China investieren? Oder doch lieber auf Uncle Sam vertrauen?
Wird der Dollar seine Vormachtstellung in alle Ewigkeit halten können? Ziemlich sicher nicht. Aber momentan ist er die Hauptwährung, die im Quervergleich am besten dasteht. Ein schlauer Marktbeobachter meinte einst, der Dollar lasse sich mit dem Betriebssystem Windows von Microsoft vergleichen. Niemand wird behaupten, es sei das beste System. Aber weil es alle benutzen, ist es am einfachsten, wenn man ebenfalls mit Windows arbeitet.
Wenn die Wechselkosten zu hoch sind
Oder sind Sie Amazon-Kunde? Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihre Kindle-Bibliothek mit hunderten von E-Books gefüllt, schauen sich Fussballspiele über Amazon Prime an und hören Hörbücher über Audible. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie zur Konkurrenz wechseln? Auch wenn die Hörbücher etwas günstiger sind oder die Auswahl an Büchern umfangreicher ist – Hand aufs Herz: Der Aufwand zu wechseln ist den meisten Leuten einfach zu gross. Genauso verhält es sich mit dem Dollar. Weil er so stark verbreitet und rund um den Globus akzeptiert ist, ist es am bequemsten, ihn ebenfalls zu verwenden.
Was, wenn die Zentralbanken vom Dollar in Gold umschichten (ich hoffe, auch Sie setzen in Ihrer Anlagestrategie auf das Edelmetall)? In der Tendenz machen sie das schon, aber alles Gold der Welt reicht nicht aus, um die von den Zentralbanken gehaltenen Billionen von Dollar und Euro zu absorbieren. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Das Ende des Dollars steht nicht unmittelbar bevor.
Irgendwie wirkt die gegenwärtige Diskussion wie eine Neuauflage des Klassikers «Und täglich grüsst das Murmeltier», in dem der Hauptdarsteller immer und immer wieder denselben Tag durchleben muss. Mindestens seit 1990 wird über die «Entdollarisierung» gesprochen. China und Brasilien haben bereits 2009 gelobt, ihren bilateralen Handel in Renminbi und Real anstatt in Dollar abzuwickeln. Ob sie es diesmal ernst meinen? On verra.
In diesem Sinne: Halten Sie an Ihrer Anlagestrategie fest und schreiben Sie den Dollar noch nicht ab!
Ihr Mark Stock©
Mark Stock ist ein Mitglied der Point Capital-Redaktion. «Ich bin begeisterter Börsianer und befasse mich leidenschaftlich gerne mit Wirtschaftsgeschichte. Seit Jahren verfolge ich das Auf und Ab an den Märkten und investiere natürlich auch selber – bevorzugt in Aktien. Mein Name ist also Programm. Jeden Monat greife ich an dieser Stelle ein aus meiner Sicht spannendes Thema auf. Und da der Inhalt und nicht meine Person im Zentrum stehen soll, schreibe ich unter einem Pseudonym.»