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Im Fokus | zurĂĽck

Wer es glaubt, wird selig

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Liebe Leserin, lieber Leser

Was wäre die Börse ohne all die vielen Märchen und Fabulierer, äh Bankstrategen! Letztere geben regelmässig ihre Einschätzungen zum Besten, ausgeschmückt mit träfen Sprüchen: «Hohes Risiko gleich hohe Rendite!», «Sell in May and go away!» oder «Gegessen und getrunken wird immer, deshalb kaufe ich Nestlé-Aktien». Das Spektakel ist ja oft durchaus ganz unterhaltsam – nur, wenn Sie nach vielen dieser Weisheiten handeln, kann das Ihre finanzielle Gesundheit gefährden.

Mark Stock Maerchenbuch2

Ein klassisches Beispiel: Hohes Wachstum bringt hohe Renditen! «China wird in den nächsten Jahren viel schneller wachsen als die USA, deshalb sollte man chinesische Aktien übergewichten!», hörte man bis vor kurzem regelmässig. Die Überlegung ist klar: Wächst die Wirtschaft, steigen die Gewinne und höhere Gewinne bedeuten steigende Aktienkurse. Elementar, mein lieber Watson! Genau deshalb investieren viele Anleger auf Basis von Konjunkturprognosen. Aber ist das wirklich klug? Es besteht kein Zweifel, China ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen, da konnten weder Europa noch die USA mithalten. Glückwunsch, wenn Sie diese Entwicklung 1997 vorhergesehen haben! Mein Beileid, wenn Sie deshalb aggressiv auf den Aktienindex MSCI China gesetzt haben. In den vergangenen 25 Jahren hat er Ihnen ausser grossen Schwankungen nämlich keine Kursavancen beschert. In der gleichen Zeit haben sich der Schweizer Aktienindex SMI und der amerikanische S&P 500 prächtig entwickelt – trotz weniger imposantem Wirtschaftswachstum.

Na gut, Wachstum hilft nicht immer, aber wer auf Qualitätsunternehmen setzt, kann nichts falsch machen, oder? «Kaufe Aktien von soliden Firmen mit kompetentem Management, und der Anlageerfolg ist garantiert.» Auch das klingt plausibel – und ist falsch. Kaum jemand wird bestreiten, dass Amazon ein tolles Unternehmen ist, gut geführt wird und überzeugende Dienstleistungen und Produkte anbietet. Und dennoch hat sich der Aktienkurs innerhalb eines Jahres praktisch halbiert! Aber gegessen wird immer, nicht wahr? Der Kandidat hat 100 Punkte! Und wahrscheinlich haben die Menschen auch von Mai 2002 bis März 2003 nicht gefastet. Das hat die Nestlé-Aktien allerdings nicht davon abgehalten, in dieser Zeit fast 40% ihres Werts einzubüssen – vielleicht hat ja eine Extraration Cailler-Schokolade den Schmerz etwas gelindert?

Immer wieder schön ist auch die Warnung vor der momentan «grossen Unsicherheit» oder «geringen Visibilität», die zur Vorsicht mahnt – das klingt zwar besser als «Ich habe keinen Plan» ist aber trotzdem etwas plump. Die folgende Argumentation ist typisch: «Jetzt kaufe ich bestimmt keine Aktien. Die Inflation ist hoch, das FED erhöht die Zinsen und schon bald kommt es zur Rezession. Kein Wunder fallen die Börsen!» Doch genau dann, wenn die Konjunkturaussichten düster sind und einem die Angst im Nacken sitzt, bieten sich die besten Einstiegschancen. Weder im Höhepunkt der Finanzkrise im März 2009 noch im Corona-Crash war den Anlegern nach Investieren zumute, von Visibilität keine Spur. Rette sich, wer kann, lautete die Devise! Doch waren Aktien 2009, als die (Finanz-) Welt vor der Kernschmelze stand, tatsächlich riskanter als Ende 2021, als jeder und sein Hund optimistisch war? Wohl kaum. Ruhig Blut bewahren, wenn alle anderen den Kopf verlieren, ist allerdings einfacher gesagt als getan. Ohne klare Strategie und – entscheidend – den Willen, an ihr festzuhalten, funktioniert es nicht. Wenn Sie warten, bis die «Visibilität» und die Laune der Marktteilnehmer wieder gut ist, ist der Zug schon abgefahren.

In diesem Sinne: Glauben Sie nicht jedes Märchen!

Ihr Mark Stock©

Mark Stock ist ein Mitglied der Point Capital-Redaktion. «Ich bin begeisterter Börsianer und befasse mich leidenschaftlich gerne mit Wirtschaftsgeschichte. Seit Jahren verfolge ich das Auf und Ab an den Märkten und investiere natürlich auch selber – bevorzugt in Aktien. Mein Name ist also Programm. Jeden Monat greife ich an dieser Stelle ein aus meiner Sicht spannendes Thema auf. Und da der Inhalt und nicht meine Person im Zentrum stehen soll, schreibe ich unter einem Pseudonym.»